Meine Biografie könnte ich – wie wahrscheinlich viele Menschen in Wien – in großen Teilen entlang von Kaffeehäusern erzählen.
Der Schriftsteller Herbert J. Wimmer entwirft im Gedicht „café gerstl“ ein Gesprächsnetz mit Elfriede Gerstl „im café-gedicht als mindmap einer kommunikation und ihrer verteilung über die stadt der gesprächsorte mit elfriede erscheinen cafés die es noch gibt und solche die es nicht mehr gibt im stadtzeitraum von sechsunddreissig jahren.“ (Herbert J. Wimmer, Ganze Teile, Gedichte, Klever Literatur, Wien, 2010, Seite 118 – 120) Eine Auflistung vorhandener und verschwundener Cafés …
Ich weiß nicht mehr, welches mein erstes Café war, aber die stärkste Erinnerung ist an das Havelka, mit sechzehn, ein Ort, der mir schnell die Illusion von „erwachsen sein“ gab. Wie übrigens danach noch viele weitere Cafés in unterschiedlichen Lebensphasen …
Schule habe ich im Tirolerhof und Tanzschule im Bräunerhof geschwänzt. Und da gab es auch noch den Krugerhof und das Salzgries, die Cafeteria am Dach des NIG und das Café Stein, für hektisches Lernen knapp vor den Prüfungen. Im Café Eiles waren die Redaktionssitzungen des „Kunsthistoriker aktuell“, ausgedehnt waren die Abende im Café Engländer und zeitlos die Schreibvormittage im Café Heumarkt.
Mich würde nicht wundern, wenn das erste Wort meiner jüngeren Tochter „Aida“ war, – der Kaffee dort schmeckt mir nicht mehr, aber die Topfengolatschen lieben wir beide noch immer.
Oft waren Kaffeehäuser notwendig für mich, im wahrsten Sinn des Wortes: ich arbeite zu Hause und mein Schreibtisch steht in der Mitte der Wohnung, ohne dass ich eine Tür schließen könnte. Genauso wollte ich es – mitten aus meinem Leben „mit Kindern und allem“ heraus arbeiten und schreiben. Ein Blatt Papier als Raum für mich alleine war genug, ich fühlte mich unabhängig und frei von Forderungen nach „einem Zimmer für mich alleine“ (Virginia Woolf). An guten Tagen. An schlechten Tagen war das schnell ganz anders und ich bin ins Kaffeehaus geflüchtet.
Eine Zeit lang war das „Radlager“ mein Arbeits- und Wohnzimmer, jetzt schreibe ich gerne im „Tanzen anders“. Im Café Menta hat mich der französische Fotograf Alain Barbero für den Blog Café Entropy beim Schreiben und in die Luft schauen fotografiert. An und für sich werde ich gar nicht gerne fotografiert, der Nachmittag mit Alain war allerdings besonders vergnüglich, und das Projekt Café Entropy besonders inspirierend. Entstanden aus der Begegnung des französischen Fotografen Alain Barbero mit der Autorin, Schreibpädagogin und Deutschtrainerin Barbara Rieger. Alain wollte in unterschiedlichen Wiener Cafés mit Barbara Deutsch lernen. Bald verbinden sich Barbaras Begeisterung für Literatur und Alains Leidenschaft für Fotografie zum Blog „Café entropy“: Schreibende Menschen in ihrem Lieblingscafé fotografiert, kombiniert mit ortsbezogenen Texten der Porträtierten – Augenblickspoesie.
Der Blog ist übersetzt ins Englische und Französische, weitet sich aus, zieht seine Kreise und führt – unzählige Begegnungen später – zu dem Buchprojekt „Melange der Poesie – Wiener Kaffeehausmomente in Schwarzweiß“. Melange der Poesie ist Fotografie, Literatur, Wiener Kaffeehaustopographie; ist eine Mischung, ein Streifzug, eine Erzählung: 55 Wiener Cafés, 57 Schriftsteller und Schriftstellerinnen, 110 schwarz-weiß Fotos. Das Buch verbindet Menschen, Orte und Worte.
Viktor Adler Markt, 1100 Wien
Hellblaue Bademäntel hängen zwischen gemusterten Haushaltsschürzen, falschen Leder- und verzierten Jeansjacken.
Ein Kilogramm Kuheuter kostet zwei Euro, das Kopffleisch vier Euro. Einer will einen Pansen, der andere nimmt lieber ein Herz.
Aus Liebe zur Tradition, alarmgesichert und videoüberwacht. Personalalarm und Panikalarm sind heute im Angebot (mit drei Rufzeichen) und kosten nur zwölf Euro. Auch der österreichische Jungwein wird kontrolliert und steirische Hühner sind pipifein.
Für Qualität und Frische bürgen die Kaufleute des Viktor Adler Markts während Plakate zur Demonstration gegen Überwachung und Kontrolle aufrufen und Freiheit für Aaron und Balu fordern.
Safran macht den Kuchen gelb, Henna färbt die Haare rot, türkische Küche schmeckt gut und am Aschermittwoch essen wir Hering.
Die Zeit der besten Krapfen ist dann auch bei Ströck vorbei.
Der Fisch(t)raum serviert zum Fisch einen Traum auf weißen Stofftischtüchern und ein Glas Sekt zu drei Austern.
Faschingsschlangen und Luftballons hängen tief im Zigarettendunst, – wenig Raum, wenig Traum, viel Alkohol in Lilys Café.
Ich ziehe meine Kreise immer tiefer in die Worte, Klänge, Gerüche, Farben, Orte – Syrisches Haus, 1001 Nacht, Wurst- und Käsehütte, Mekka Halal Fleisch, Fischoase, Sushi, Kebab, Acht Schätze – und finde meinen Platz an einem der vier kleinen Tische in einem türkischen Lokal. Ich verbrenne mir die Zunge an schwarzem Tee und bestelle Manti, mit Faschiertem gefüllte Nudeln. Von der Unterhaltung der Wirtin mit zwei türkischen Männern verstehe ich Finanzpolizei, Bank Austria, facebook und schwarz-weiß.
„Worüber schreiben Sie? fragt mich die Wirtin, „über die Flüchtlinge oder über die Österreicher?“